„Und was machen wir jetzt mit all diesen Luftballons?“ fragt Mama.
„Wir lassen sie einfach hängen, bis allen die Luft ausgegangen ist.“ antwortet Papa.
„Nein, das mag ich nicht. Immerhin sind es meine Geburtstagsluftballons!“ Nico verschränkt trotzig seine Hände vor der Brust. Seit vier Tagen schon hängen sieben bunte Luftballons auf der Terrasse. Sein Onkel Christoph hat sie ihm zum Geburtstag geschenkt. Er hat auf jeden einzelnen eine Zahl geschrieben und für Nico am Terrassengeländer befestigt.
Der blaue mit der Nummer 4 schaut irgendwie schon schrumpelig aus. Der rote mit der Nummer 1 ist auch schon etwas kleiner als die anderen.
Onkel Christoph ist schon wieder abgereist. Er arbeitet weit weg. Nämlich in Saudi-Arabien. Kennst du das? Da muss man stundenlang mit dem Flugzeug hinfliegen. Aber jedes Jahr besucht Onkel Christoph Nico zum Geburtstag.
Nico mag seinen Onkel sehr. Wenn Christoph kommt, ist alles anders. Er kümmert sich ausschließlich um Nico. Der Onkel baut die besten Legohäuser, erzählt ihm Geschichten aus Saudi-Arabien und was Onkel Christoph am besten kann: er schwimmt mit Nico am Rücken durch den ganzen Stausee!
„Also, was möchtest du denn mit den Luftballons machen? Hast du eine Idee?“ fragt Mama nochmal.
Aber Nico hat leider keine Idee.
Nach dem Essen geht Nico zu seinem Opa. Das ist nicht weit, nur am anderen Ende vom Garten.
„Du, Opa, hast du eine Idee, was ich mit Onkel Christophs Luftballons machen könnte? Ich mag nicht, dass ihnen die Luft ausgeht. Am liebsten wäre mir, sie würden immer auf der Terrasse hängen bleiben, damit sie mich immer an Onkel Christoph erinnern.“
„Ja, das wäre schön. Ich kenne leider keine Luftballons, denen nicht irgendwann die Luft ausgeht.“ sagt Opa.
„Weißt du, was ich einmal gemacht habe, als ich noch ein Kind war?“ fragt Opa.
„Nein. Aber du erzählst es mir sicher gleich.“ antwortet Nico. Wenn Opa anfing, von seiner Kindheit zu erzählen, bekam Nico Gänsehaut. Denn er liebte diese Geschichten. Wild waren sie und aufregend. Manchmal wünschte er sich, Opas Bruder zu sein und mit ihm all die abenteuerlichen Dinge zu erleben, von denen Opa erzählte.
Opa wuchs auf einem Bauernhof in den Bergen auf. Einmal musste er im Sturm ein Lämmchen suchen, das verloren gegangen war. Nicos Lieblingsgeschichte aber war die, als Opa einen Schatz gefunden hat.
„Also“ beginnt Opa zu erzählen: „als ich klein war, bekam ich einmal einen Luftballon geschenkt, der mit Helium befüllt war. Ein Zirkus war im Dorf und jemand von den Zirkusleuten drückte mir Bella einfach in die Hand. Lass mich nachdenken, wer das war…“
„Bella?“ fragt Nico erstaunt
„Ja, Bella, so nannte ich meinen Luftballon. Sie hatte große rote Lippen und riesige Augen mit Wimpern dran. Ihre Wangen waren rot und ihr Gesicht vornehm weiß. Sie war eine Schönheit, deshalb hieß sie Bella. Ich war so stolz auf sie. Niemand hatte so einen wunderschönen Luftballon im Ort. Ich band sie ganz fest am Lattenzaun fest. Dort tanzte sie im Wind und ich konnte ihr dabei von meiner Stube aus durchs Fenster zusehen.“ Opas Augen sahen in die Ferne. Er seufzte einmal tief, sah dann Nico an und lächelte.
„Und was ist mit Bella passiert?“ fragt Nico nach.
Opa seufzte noch einmal tief, überlegte kurz und sagte dann: „Ich hab´ sie auf Reisen geschickt. Irgendwann hat sie mir leidgetan. Tagein tagaus flatterte sie da im Wind, immer an der gleichen Stelle. Ich glaube nicht, dass sie das glücklich machte. Also hab´ ich eines Tages meinen Namen und meine Adresse auf einen Zettel geschrieben. Den habe ich dann an ihre Schnur geknotet und ihr gesagt, sie solle einen schönen Gefährten finden, mit dem sie gemeinsam im Wind tanzen könnte.“
Jetzt lachte er und sah Nico direkt in die Augen. „Ich hab´ sie losgebunden, bin ein Stück mit ihr gelaufen und dann hab ich sie einfach losgelassen.“ Opa zeigt mit der Hand zum Himmel: „Sie flog hoch, so hoch, dass ich sie bald nicht mehr sehen konnte. Zum Abschied rief ich laut: ,Ciao, Bella!`“
Das gefällt Nico. Gemeinsam rufen sie in den Himmel: „Ciao Bella, Ciao Bella, Ciao Bella…!“
Dabei breitet Opa seine Hände weit aus, immer lauter ruft er, bis er schließlich anfängt, zu lachen. Er lacht und lacht, dass er sich den Bauch halten muss. Und Nico lacht mit.
„Du, Opa“ fragt Nico, als sich beide ein wenig beruhigt haben. „Warum hast du deinen Namen und deine Adresse auf den Zettel geschrieben?“
„Na, damit mir derjenige, der Bella findet, eine Nachricht hinterlassen kann. Eine Nachricht, wo er sie gefunden hat.“
„Und?“ fragt Nico. Gespannt wartet er auf Opas Antwort. Hat er denn eine Nachricht erhalten?
„Nein. Leider habe ich nie eine Nachricht erhalten. Wahrscheinlich hat sich jemand in Bella verliebt und hatte Angst, ich würde sie zurückhaben wollen.“ Er zwinkerte mit einem Auge Nico zu und grinste schelmisch.
Wieder zu Hause geht Nico sofort auf die Terrasse und schaut sich seine Luftballons an. Sieben Stück. Nico begutachtet seine Ballons sehr genau. Mit der Hand überprüft er ihre Festigkeit. Er stellt sich jeden Ballon mit Bellas Gesicht vor.
Nummer zwei: gelb und riesig – nein, gelb auf gar keinen Fall
Nummer drei: weiß, noch fest – könnte gehen
Nummer vier: blau, verschrumpelt – unbrauchbar
Nummer fünf: grün, mittelfest – grüne bella?
Nummer sechs: rosa, groß und fest – auch gut
Nummer sieben: lila, eher klein und weich – nein
Nico entscheidet sich für den weißen Ballon. „Ihre Haut war vornehm weiß“, hat Opa gesagt.
Er holt die wasserfesten Stifte aus Papas Schreibtisch, ein Stück Briefpapier und einen Kugelschreiber.
Mit den wasserfesten Stiften malt Nico dem weißen Ballon riesige Augen mit dichten Wimpern auf, Augenbrauen und eine kleine Nase. Er malt einen vollen rosaroten Mund und rosa Wangen. Auf ihren Hinterkopf schreibt er ihren Namen.
Seine Bella ist wunderschön geworden!
Auf das Briefpapier schreibt er seinen Namen, seinen Nachnamen und seine Adresse. Er faltet das Papier ganz klein, bindet Bellas Schnur drumherum und verknotet sie fest. Damit er eine Nachricht bekommt, wenn jemand Bella gefunden hat.
Dann geht er mit seiner Bella in der Hand zu Opa. Der staunt nicht schlecht, als er Bella sieht. Er schlägt sie Hände zusammen, klatscht laut und lacht dabei. „Ja Grundgütiger, sag mir ja nicht, dass du meine Bella gefunden hast!“
„Nein, Opa, das ist meine Bella!“
„Ohja, und sie ist genauso schön, wie meine Bella damals!“
„Wollen wir sie gemeinsam fliegen lassen?“ fragt Nico.
Opa nickt. Nico hält Bella hoch in die Luft und ruft:
„Ciao Bella!“
Opa stimmt mit ein. Und während Bella immer höher und höher in den Himmel steigt, rufen die beiden siebzehn Mal hintereinander: „Ciao Bella, Ciao Bella, Ciao Bella, Ciao Bella, Ciao Bella, Ciao Bella, Ciao Bella, Ciao Bella, Ciao Bella, Ciao Bella, Ciao Bella, Ciao Bella, Ciao Bella, Ciao Bella, Ciao Bella, Ciao Bella, Ciao Bella!“ So lange, bis ihnen die Luft ausgeht und sie sich vor lauter Lachen die Bäuche halten.
Vier Wochen später ruft Mama Nico aus seinem Zimmer. „Du hast Post bekommen!“
„Post? Ich? Ich bekomme nie Post!“ antwortet Nico erstaunt.
Mama reicht ihm einen weißen Briefumschlag mit rotem und blauem Rand. Auf dem Umschlag ist eine grüne Briefmarke. Auf dem Poststempel stehen Buchstaben, die er nicht lesen kann.
Langsam öffnet er den Briefumschlag und faltet den Brief auseinander. Die Schrift ist sehr schwierig zu lesen…
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