Immer wieder geschieht es, dass PIKLER und PEKIP als das Gleiche betrachtet wird. In beiden Fällen handelt es sich um ein Freizeitangebot für Eltern mit Babys. Beide Konzepte werden auch mit ähnlichen Worten beschrieben: Individuelle Entwicklung, Forschergeist ausprobieren, selbstständig aktiv sein und seine Umwelt entdecken, erste Kontakte mit Gleichaltrigen usw.
Kein Wunder, dass die Unterschiede da nicht klar zu fassen sind. Und noch dazu klingen ja beide Namen sehr ähnlich, sodass es leicht zu Verwechslungen kommen kann.
Beide Konzepte haben das Ziel, die frühe Eltern-Kind-Beziehung zu stärken und einen Austausch unter Eltern zu ermöglichen. Doch gibt es feine Unterschiede, die erst bei genauer Betrachtung sichtbar werden.
Wer war Pikler?
Emmi Pikler (1902-1984) war als Kinderärztin in Familien tätig und leitete anschließend fast 40 Jahre lang in Budapest ein Säuglings- und Kleinkinderheim, das Emmi Pikler Institut (bekannt als „Lóczy“). Ihre wissenschaftlichen Forschungen und pädagogischen Erkenntnisse entstammen dieser jahrzehntelangen praktischen Arbeit mit jungen Kindern. Die Grundlage ihrer Arbeit bildet ein tiefer Respekt vor der Würde und Kompetenz des bereits sehr jungen Kindes und beinhaltet ein fundiertes Wissen über seine Entwicklung in allen Lebensbereichen.
In Form von Pikler®-SpielRäumen wird ihre Haltung dem Kind gegenüber von langjährig ausgebildeten Pikler-PädagogInnen in Familien getragen und hält mittlerweile in vielen Tageseinrichtungen Einzug. Die Marke ist in den letzten Jahren zu einem Qualitätsmerkmal geworden. Diese Qualitätssicherung der Pikler-Kleinkindpädagogik wird durch nationale und internationale Pikler-Gesellschaften übernommen.
Was ist PEKIP?
Das Prager Eltern-Kind-Programm geht auf die Arbeiten des tschechischen Kinderpsychologen Dr. Jaroslav Koch zurück, der sich intensiv mit frühkindlicher Förderung auseinandersetzte. Er entwickelte spezielle Spielabläufe zur Förderung der kindlichen Entwicklung. Weiterentwickelt wurden Kochs Ansätze Jahre später von Dr. Christa Ruppelt und Dr. Hans Ruppelt. Sie widmeten sich gemeinsam mit ExpertInnen aus dem pädagogischen Bereich erneut den Ideen der Frühförderung. Daraus ist letztlich das Prager-Eltern-Kind-Programm entstanden. Die Qualitätssicherung der Programminhalte übernimmt der gemeinnützige PEKiP Verein.
Was sind die größten Unterschiede zwischen einer Pikler-Gruppe und einer PEKIP-Gruppe?
1) Eingstiegsalter und Begleitungsdauer
PIKLER: frühestens ab dem 4. Lebensmonat bis zum Alter von 3 Jahren.
PEKIP: ab der 4. Lebenswoche bis zum Ende des ersten Lebensjahres.
2) Gruppengröße:
PIKLER: je nach Alter der Kinder zwischen 5 (Säuglingsgruppen) und 7 Kinder.
PEKIP: 8 Kinder.
3) Das Konzept:
PIKLER: Der Pikler-SpielRaum besteht aus zwei Elementen: Wöchentliche Spielzeiten für die Kinder am Vormittag und regelmäßige Elternrunden (z.B.: wöchentlich oder 14-tägig, je nach Angebot), die meist abends stattfinden.
PEKIP: Wöchentliche Treffen, in denen Spielzeit und Elternaustausch gleichwertige Bestandteile sind.
4) Die Kinder
PIKLER: Die Kinder tragen bequeme Kleidung, meist sind die Kinder barfuß. Sie wählen selbst, wie und womit sie sich beschäftigen möchten und bewegen sich ihren Möglichkeiten entsprechend.
PEKIP: Die Kinder sind nackt in einem warmen Raum. Sie werden von ihren Eltern zu Spielen und Bewegungsübungen animiert oder entdecken mit anderen Kindern die Umgebung.
5) Die Rolle der Eltern:
PIKLER: Die Atmosphäre während der Spielzeit wird bewusst ruhig gehalten. Die Eltern sind eingeladen, die Aktivitäten ihrer Kinder zu beobachten, um die Eigeninitiative ihres Kindes kennen zu lernen und wahr zu nehmen. Diese Einladung ermöglicht eine interessierte Haltung am Tun der Kinder. Während der Spielzeit steht die Aktivität des Kindes im Vordergrund. Dem Bedürfnis nach Austausch unter den Eltern wird in regelmäßig stattfindenden Elternabenden Raum gegeben.
PEKIP: Die Eltern werden eingeladen, gemeinsame Spiel-und Bewegungsübungen mit den Kindern durchzuführen. Der Austausch unter den Eltern ist wesentlicher Bestandteil des Treffens.
6) die Rolle der Gruppenleiterin:
PIKLER: Die Gruppenleiterin sorgt für eine Umgebung, die den Entwicklungsbedürfnissen des Kindes angepasst ist. Spiel-und Bewegungsmaterialien richten sich nach dem Entwicklungsstand der jeweiligen Kinder. Die Pikler-Pädagogin begleitet die Kinder während ihrer Aktivitäten oder Begegnungen mit ruhigen und beschreibenden Worten und unterstützt sie in ihrer eigenen Lösungsfindung. Sie moderiert und begleitet die Eltern zusätzlich in regelmäßig stattfindenden Gesprächsrunden, in denen auf individuelle Fragen einfühlsam eingegangen wird.
PEKIP: Die Gruppenleiterin bereitet die Räumlichkeiten entwicklungsgemäß vor und bietet Spiel-und Bewegungsübungen an. Im Fokus stehen Übungen zur Förderung der Spiel- und Bewegungsentwicklung. z.B.: das Baby in Bauchlage auf einem Ball rollen, um die Muskulatur zu stärken. Die PEKIP-Gruppenleiterin moderiert den Austausch unter den Eltern und beantwortet Fragen zur Entwicklung des Kindes.
7) Die Ausbildung:
PIKLER: Die Ausbildung richtet sich an pädagogische, psychologische, therapeutische oder medizinische Fachleute. Das Curriculum umfasst einen Grundkurs (1,5 Jahre), eine darauf aufbauende Praxisbegleitung (1,5 Jahre) und mindestens 5 Intensivwochen im Lóczy-Institut in Budapest. Zusätzlich sind Seminare zur Förderung der eigenen Wahrnehmung und eine Hospitation inkl. Reflexionsgespräche verpflichtend. Die Pikler-Ausbildung dauert mindestens 3 Jahre und wird mit einer umfassenden Abschlussarbeit beendet. Hier findest du weitere Informationen zur Ausbildung zur zertifizierten Pikler-PädagogIn.
PEKIP: Die Ausbildung zur Pekip-Gruppenleiterin richtet sich an pädagogische Fachkräfte und umfasst einen 9 monatigen Grundkurs mit anschließender Praxis-und Supervisionsphase. Nach erfolgreich abgeschlossener Fortbildung (Grundkurs und Supervision) erhalten die TeilnehmerInnen das PEKiP-Zertifikat. Hier findest du weitere Informationen zur Ausbildung zur zertifizierten Pekip-Gruppenleiterin.
Warum der Pikler®-SpielRaum für mich und meine Lebenshaltung stimmiger ist als das PEKiP
Ich bin der Ansicht, dass eine zu frühe aktive Förderung von Entwicklungsschritten einerseits zu einer Überforderung des Kindes führen kann und andererseits eine Beziehung auf Augenhöhe zwischen Erwachsenen und Kind nicht zulässt. Mein Eindruck ist, dass die Eltern-Kind-Beziehung im PEKIP auf einer leistungsorientierten Basis aufbaut, während bei Pikler die Individualität jedes einzelnen Kindes im Vordergrund steht.
Babys brauchen kein Animationsprogramm
Das PEKiP macht auf mich den Eindruck eines Förderprogrammes. Babys werden bereits früh mit Material und Animation konfrontiert. Allerdings ist die Sorge, Kinder von Anfang an aktiv fördern zu müssen, meiner Erfahrung nach, schlichtweg unnötig. Der Säugling braucht in erster Linie Ruhe und Stabilität in seinem Alltag, um in einer für ihn chaotischen Welt anzukommen. Eine Umgebung, die zu viele Reize bietet, kann zu einer Überforderung und folglich massiven Regulationsstörung führen.
In den ersten Wochen nach einer Geburt ist es nur verständlich, dass Eltern nach einer geeigneten, empathischen Begleitung suchen. Zur Unterstützung von frischen Eltern biete ich Eltern-Baby-Teestunden in meinem SpielRaum in Kaisersdorf/Burgenland, eine kostenlose Online-Babysprechstunde via Zoom, sowie eine individuelle und längerfristige Begleitung an. Der gesunde Säugling allerdings braucht keine spezielle Förderung, sondern profitiert in erster Linie von einer liebevollen und geborgenen Beziehung zu seinen Eltern.
Kindern die Chance geben, sich in ihrem Tempo zu entwickeln
Die Beobachtungen Piklers über die selbstständige Bewegungsentwicklung stehen im klaren Gegensatz zum Ansatz des Prager-Eltern-Kind-Programms. Hier werden Übungen gezeigt, die das Baby frühzeitig in Positionen bringen, die es selbst noch nicht einnehmen kann (z.B. die Drehung in die Bauchlage: die Eltern drehen das Baby in die Bauchlage, indem sie seine Füße überkreuzen). Emmi Pikler hat in ihrem Buch „Lasst mir Zeit“ * dargelegt, dass die Bewegungsentwicklung unzählige, sehr individuelle Facetten aufweist. Das eigenständige Entdecken seiner Umwelt und seines Körpers ermöglicht dem Kind, in seinem individuellen Tempo damit vertraut zu werden. Die dadurch erlangte Sicherheit bildet die Basis für seine nächsten Schritte.
Ein Ein-bzw. Vorgreifen in die natürliche Entwicklung eines Kindes bedeutet nicht nur steigende Unsicherheit für das Kind. Gleichzeitig wird ihm signalisiert, dass es sich ohne Hilfe von außen nicht weiter entwickeln kann. Ich spreche hier ausschließlich von gesunden Kindern. Eine Unterstützung in Form von z.B. Physiotherapie bei Kindern mit Beeinträchtigungen kann natürlich nach genauer Beobachtung sinnvoll sein.
Hier findest du alle nötigen Informationen zur Spiel-und Bewegungsentwicklung im ersten Lebensjahr!
Echtes Interesse steigert die Beziehungsqualität
Je mehr Möglichkeiten Eltern haben, die Persönlichkeit ihres Kindes wahr zu nehmen und darauf zu reagieren, desto höher ist die Beziehungsqualität. Durch die Beobachtung im Pikler-SpielRaum lernen Eltern die Bedürfnisse ihres Kindes erkennen und darauf entsprechend zu reagieren. Durch die aufmerksame Anteilnahme des Erwachsenen am eigenständigen Tun des Kindes wird die Bindung gefestigt, sie entwickeln Sicherheit in ihrer Begleitung und erlangen ein Zutrauen in die Fähigkeiten ihres Kindes.
Der SpielRaum gibt Eltern die Möglichkeit, sich eine Stunde lang nur ihrem Kind zu widmen. Sehen zu können, welche neuen Dinge es lernt, was es beschäftigt und womit es noch Schwierigkeiten hat. Zu sehen, dass Entwicklung auch ohne unser Zutun immer stattfindet, die kleinen Schritte erkennen zu können, lässt ein Vertrauen entwickeln, das sich letztlich als Selbstvertrauen in den Kindern widerspiegelt.
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Wow, so eine schlüssige Gegenüberstellung der beiden Konzepte. Da bleiben keine Fragen offen. Danke!
Vielen Dank!
Liebe Daniela,
du sprichst mir mit deinem Artikel sehr aus dem Herzen und ich liebe es, wie du die Werte und Hintergründe des Pikler-Spielraum darstellst.
Eine sehr fundierte Gegenüberstellung!
Vielen Dank, Marion!